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Texte zur Arbeit

Martin Engler - Geschichten aus dem Land der Zeichnung

Am Anfang war das Wort. Als Einschreibung auf dem Grund der Blätter lagern sie noch jetzt in Form zeichenhafter Sedimente der Werkgenese: Buchstaben, Sätze, Romane und Geschichten, die dem Bild ihren Anfang geben. Und dann entstanden die Bilder, folgen Linie und Schraffuren, Schichten und Flächen. So dient erstaunlicherweise Knut Hamsun ebenso wie Merab Mamardaschwili zum Vorwand einer künstlerischen Konzeption, die von jeder Narration oder Gegenständlichkeit weit entfernt sich entfaltet. Nichts findet sich vordergründig in der Kunst Gela Samsonidses vom Meer oder von fernen Ländern dieser Einschreibungen, von der Fremde und unserer Sehnsucht.

Ihren literarischen Ursprung bewusst verbergend, machen seine Bilder jedoch gerade dieses Moment des Verbergens und Enthüllend, des Verschüttens und des Freilegens zum zentralen Anliegen ihrer zeichnerischer Unternehmung. Was da an Worten und Ideen, Sprachbildern und Notaten verborgen bleibt, bildet den Resonanzboden dieser großformatigen Zeichnungen, die anstatt ihrer verschütteten Alibis die Geschichte ihrer Entstehung dem enthüllen, der es unternimmt in ihren Oberflächen zu lesen.

Samsonidses Graphitzeichnungen mit dem Gardemaß drei Meter auf 133 Zentimeter sind zeichnerische Palimpseste, die sich selbst immer wieder von neuem zu überschreiben scheinen. Was geschrieben wird, wird nur geschrieben, um verdeckt zu werden; das Überschreiben und Verbergen dient einzig dem Zweck, ihr unter der unmittelbaren Oberflächen verborgenes Sediment im Gedächtnis zu halten. Das Zwiegespräch von Verhülltem und Entdecktem, von der Sichtbarkeit und ihrer unabdingbaren Abwesenheit erscheint dabei als komplexer, zuweilen gegenläufiger Prozess, dessen wesentliches Medium neben dem kraftvoll geführten Graphitstift das verneinende und jede Geste in Frage stellende Ausradieren ist: Die überlebensgroßen Blätter verdanken ihr vielschichtiges Hell-Dunkel dem Radiergummi ebenso wie dem Zeichenstift. Und die handwerkliche Produktion spiegelt so auf erstaunliche Weise die inhaltliche Anlage der Zeichenblätter wider: Erst aus dem Zusammenklang von Gesagtem und Nicht-Gesagtem, erst im komplementären Nebeneinander einer Geste und ihrer Negation werden die Arbeiten Samsonidses lesbar und fügen sich zu einem eigenständigen zeichnerischen Alphabet.

Das der Nacht und dem Weiß seiner großen Bilder gleichermaßen abgerungene chiaroscuro erinnert zuweilen an die Lichtmystik durchleuchteter Kirchenfenster. In anderen Blättern wird ein filigranes Netz zum über den Bildrand hinaus sich verzweigende Gespinst oder werden die zum weißen Blattgrund sich öffnenden Strukturen und Schichtungen zum drängend bedrängten Gegenentwurf eines machtvoll ins Bildgeviert drängenden Keils aus nachtschwarzem, massivem Graphit. Dem Medium eignet in der Handhabung Samsonidse eine chamäleonhafte Varianz, ein souveränes Spiel von schwarz und Weiß, von flächenhafter Dichte und dem freien Lauf der Geste zwischen Ornament und unhierarchischer Struktur.

So wird das Entziffern der Schichtungen und Überlagerungen zum zirkulären Prozess, der immer wieder Anfang und Ende, Figur und Grund verwirrt. Das zuvor vom Graphit verschlungene Blattweiß wird vom archäologisch schürfenden Radierer wieder freigelegt, um selbst wieder neue Grafismen in den nun nicht mehr unberührt reinen Bildgrund einzuschreiben. Wie den in der Fläche und im Gespinst sich verlierenden Buchstaben erst durch ihren Verlust ihr neuer, eigentlicher Sinn zuwächst, wird paradoxer Weise gerade auch der Akt des Ausradierens, des Aufbrechens der Fläche zum konstitutiven Moment der Zeichnung. Ein mit unregelmäßig gesetzten Kürzeln gewobenes, immer enger sich fügendes Gitter aus das Graphit durchpflügenden Gesten wird so zur dynamischen Hintergrundsfolie, die alle zehn Blätter gleichermaßen unterfängt. Über diesem unorthodox geometrischen Gerüst entstehen immer neue Formationen und Strukturen. Die scheinbare Varianz des formalen Repertoires erhält so einen tragfähigen basso continuo, der dem zeichnerischen Archipel seine Koordinaten gibt, ohne seine vielgestalten Oberflächen zu nivellieren.

Aus dem autonomen Diskurs der Flächen und Gesten schält sich dann die Lust an der gegenständlichen Anspielung, am Spiel mit dem Ding als Möglichkeit heraus. Allerdings nur um im nächsten Moment wieder im Bodenlosen der Schichten und Strukturen zu verschwinden. Die großen Blätter werden so zum Rebus, der bei jedem Abgang neue Lesarten provoziert. Verlorene, unleserliche Geschichten kehren zurück im entziffernden Nachvollzug des Betrachters, der auf der Suche nach der Geschichte der Bilder immer wieder auf die eigenen, nur ihm sich erschließenden Geschichten und Bilder stößt.

 

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