Texte zur Arbeit
Martin Engler - Bilder zwischen Abstraktion und Narration
Der Flügel krakt in schmutzigen Farben in die blaue Weite. Von den Rundungen des Kabinenfensters nur am unteren Rand gehalten, spannt sich das Tragwerk des Düsenjets diagonal über eine vielfarbig weiße Wolkendecke und endet im darüberliegenden Blau des Himmels. »Flug (nie irgendwo)«, 2007, ist eines der neuesten Bilder Gela Samsonidses – und dabei Solitär und Programm in einem. Ein Bild das – wie viele gerade seiner jüngeren Arbeiten – neben Gegenstand und Realität vor allem auch sein abstraktes Gefüge und die malerische Faktur betont. Eine Malerei, die im gegenstandslosen Gefüge der Formen und Farben, von Ornament und Peinture, doch immer auch (und ohne jeden Zweifel) der Realität, der Figur, der Welt der Dinge verpflichtet bleibt. Etwa 2004 vollzieht sich dieser prägnante Bruch in Samsonidses Werk. Konsequent werden die abstrakten Bildwelten der Neunziger und der ersten Jahre dieses Jahrzehnts subsumiert, um aus diesem Fundament sich und seine Malerei neu zu erfinden.
Und so teilen sich schon seit gut vier Jahren reale, realistisch gemalte Figuren den Bildraum in Samsonidses Bildern mit abstrakten Formen und Rapporten, die eben diesen Raum mit Macht besetzen. Dichte, fast klaustrophobe Bildgründe, die die vor mit und neben ihnen sich entfaltende Figuration fest umschließen und in ihrem malerischen System verorten. Ein spannendes dialogisches Gegenüber, in dem die vermeintlichen Gegensätze von Abstraktion und Gegenstand immer wieder neu verhandelt werden. In »Hochzeit«, 2006, findet sich die Leinwand fast hälftig geteilt und stehen sich die jeweiligen Bildhälften in ihrem malerischen Wollen unversöhnlich, fast feindselig gegenüber. Der Bräutigam steht mit gesenktem Blick und seltsam in sich gekehrt in einem rudimentär definierten Raum. Von der wild wuchernden Peinture, die unmittelbar neben ihm beginnt, nimmt er keine Notiz. Wie soll er auch sehen, was es in seiner Welt nicht geben kann. Dem emotionalen Potenzial der Figur, seinem räumlichen und narrativen Resonanzraum, der auf eine alte Fotografie aus dem Familienalbum zurück geht, stehen die hellblauen und grünen Ellipsen in ihren Flächigkeit fremd und – auf den ersten Blick – undurchdringlich entgegen. Erst allmählich gewinnt das Bild an Tiefe, wird die Abstraktion durchlässig und wird die zuerst abstrakte Untermalung zur Fortsetzung, besser zur Komplettierung der Hochzeitsszene. Hinter der fremden, gegenstandslosen Oberfläche wird die Silhouette der Braut sichtbar. Der gesenkte Blick des Mannes wird plötzlich fokussiert und richtet sich auf die Schnittestelle der beiden Bildhälften, an der diese formal wie inhaltlich verknüpft werden. Die runde, abstrakte Form wird zum Brautstrauß, der gesenkte Blick zum Moment der Innigkeit, in dem der Akt der Vermählung vollzogen wird. Der Brautstrauß mutiert zum vielschichtigen Dreh- und Angelpunkt des Bildes, in dem sich Form und Inhalt überkreuzen. Und trotzdem verlieren die abstrakten Ellipsen bei aller arabeskenhaften Freiheit nichts von ihrer bedrohlichen Dynamik: Sie bleiben feindliche Einzeller, die die Welt der Erzählung und des Gegenstands zu verschlingen drohen und ihre Bedeutung zugleich potenzieren.
Im Überkreuzen von Narration und Malereidiskurs realisiert sich allerdings noch eine zweite, weit reichende Erzählung, die im Verein mit den fotografischen Vorlagen der neuen Arbeiten, in die Biografie Samsonidses ebenso verweist wie auf die Wurzeln seiner künstlerischen Vita. In dem Maße, wie die Bilder auf Vorlagen aus dem Familienalbum des Künstlers zurückgehen, ist die Spannung von Abstraktion und Gegenstand, die Verbindung von Fläche und Raum, von Gegenstandslosigkeit und Narration auch ein Moment seiner Biografie zwischen Deutschland und Georgien. Ob er sich selbst oder seinen Bruder vor abstraktem Hintergrund portraitiert, ob der »Bergsteiger«, 2007, im Gebirge der horizontal gereihten Abstraktion abzustürzen droht oder in »Es war wie gestern«, 2006, ein kleiner Junge in Turmschuhen gegen die herannahende gestische Abstraktion ankämpft, immer sind es komplexe Bilder einermalerischen wie biografischen Selbstvergewisserung. Die Familiengeschichte findet sich in vielschichtiger Weise mit seiner kulturellen Herkunft verwoben, um zwischen Europa und Georgien, zwischen Westen und Osten, zwischen Nähe und Fremde, die eigene Identität zu ergründen. Es ist an dieser Stelle mehr als ein erschreckend intimes Apercu, dass die das erste realistische Bild seit der Akademiezeit, die verstorbene Mutter für die Familie in Georgien portraitiert. In einem Moment existentieller Erfahrung findet sich der Maler nicht nur auf seine eigene künstlerischen Wurzeln zurück geworfen, sondern findet zugleich zum Ursprung der Malerei selbst: Das Bild als Wunsch Abwesendes oder Vergängliches zu bewahren, um mit der Kunst den unauslöschbaren Schrecken des Todes zubannen.
Dass aus diesem privaten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bild der Mutter, eine komplett neue Werkgruppe, ein veritabler Bruch in seiner künstlerischen Biografie folgte, dafür kann die emotionale Extremsituation allerdings nur den Anlass geben. Was in den darauf folgenden Jahren entsteht, ist eine mit hoher emotionaler Intensität geführte Investigation in das eigene malerische Selbstverständnis zwischen Abstraktion und Figur. Eine Untersuchung, die anhand der vertrauten Bilder aus dem Familienalbum vorangetrieben wird und explizit die Frage nach der im Übergang von Osten nach Westen verloren gegangene Tradition des Gegenstandes und der Figur stellt. Zeitlich wie räumlich sich verschiebende Ideen von Modernität werden aufgerufen und auf ihre Kompatibilität jenseits der angestammten Kontexte überprüft. Die Figuration seiner Lehrer in der kommunistischen Heimat steht so im Widerstreit mit der ungegenständlichen Abstraktion, des ‚freien Westens'. Die neue figurative Malerei Samsonidses hat mit einem nostalgischen rückwärtsgewandten‚ ›retour a l'ordre‹ allerdings wenig zu tun, sondern trägt den kategorialen Widerspruch selbstbewusst ins Bild, ohne ihn vermittelnd entschärfen zu wollen. Er macht die Leinwand selbst zum Feld, auf dem die grundlegende Frage der Malerei der letzten Jahrzehnte in jedem Bild neu gestellt werden muss, ohne je einer abschließenden Antwort zu bedürfen.
Diese offen und selbstbewusst ins Bild gesetzte Aporie einer Malerei, die immer eines im Andern und beides zugleich ist, konfrontiert die Idee einer – abstrakten – Weltsprache der Kunst oder zumindest der Moderne. Jene vermeintliche Internationale der Abstrakten, die sich hier an einer, nicht nur Samsonidses, Vergangenheit reibt, die zugleich unsere unmittelbare Gegenwart ist. Zyklisch reformulierte Kategorien, die für ihn ihre Trennschärfe verloren zu haben scheinen. Und natürlich teilen Sprache und Malerei nicht nur oberflächlich den Moment der Übersetzung, die immer auch Interpretation und Vermittlung ist. Ein fortwährender Prozess der produktiven Kontextverschiebungen, um im Sehen und Verstehen neuen Sinn und neue Bedeutung zu erzeugen – und den der Künstler souverän beherrscht, als erfahrener Grenzgänger zwischen indogermanischem und kaukasischem Sprachraum, zwischen Europa und seiner georgischen Heimat zwischen Fremde und Exotik.
Ein letzter Blick, bevor wir das Atelier verlassen, gilt der Rückseite einer der großen Leinwände: Neben Titel und Jahr in lateinischer Schrift und arabischen Ziffern finden wir dort auch die Signatur des Künstlers, die in georgischer Schrift, das Bild ein letztes Mal zwischen Orient und Okzident, zwischen Hier und Dort verortet. Ohne eindeutig Stellung zu beziehen, ist doch gerade diese in ornatmentaler Schönheit schwelgende Schrift, die das Eine im Anderen sichtbar macht, die abstraktes Ornament und alphabetisches Zeichen gleichermaßen ist, perfektes Spiegelbild seiner Malerei.
Selten findet sich die spannungsvolle Inkongruenz zwischen Sinn und Form, zwischen Erzählung und Abstraktion schöner und sinnfälliger ins Bild gesetzt, als in diesem im Wortsinne einzigartigen Schriftbild. In den schwungvoll und weich gerundeten Buchstaben des georgischen Alphabets, die für das unkundige Auge nicht mehr sind als ein unentwirrbares Geflecht wunderschöner Arabesken, kann nur lesen, wer sich zwischen den Welten bewegt und unter der Oberfläche des vermeintlich Abstrakten den Gegenstand entdeckt – oder den abstrakten Rapport als Grundlage jeder Form und Gestaltung akzeptiert.