Texte zur Arbeit
Hans-Joachim Müller - Einführungsrede Kunstverein Konstanz im September 2013
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, in dieser Ausstellung, in der wir Bekanntschaft schließen mit zwei eigensinnigen, gänzlich unverwechselbaren Werken.
Dass sie hier zusammen kommen, ist eine schöne Fügung. Aber man sollte auch ein wenig vorsichtig sein bei der entschlossenen Herstellung von allzu offensichtlichen verwandtschaftlichen Beziehungen. Es mag formale Entsprechungen geben. Netzartige Strukturen hier wie dort. Aber daraus wird noch keine belastbare Schnittmenge. Und dass die beiden Künstler beide Register ziehen, also sowohl mit gegenständlich figürlichen wie mit abstrakt zeichenhaften Mitteln und Assoziationen arbeiten, das teilen sie ja mit Vielen ihrer Generation. In der postkonzeptuellen Ära, wie man heute sagt, stehen die Dinge frei zur Verfügung. Es sind keine Bekenntnisse mehr gefordert, keine Richtungsentscheidungen wie früher. Aus dem unversöhnlichen Gegensatzpaar "gegenständlich - ungegenständlich" sind längst gleichberechtigte, jederzeit einsetzbare Modi des künstlerischen Denkens und Handelns geworden. Und von dieser Freiheit machen eben auch Gela Samsonidse und Stephan Hasslinger ganz selbstverständlichen Gebrauch.
Es scheint so gesehen schon geboten, die beiden Werke erst einmal einzeln zu betrachten und sie nicht gleich aufgehen zu lassen in der schönen Inszenierung dieser Ausstellung.
Gela Samsonidse kam Mitte der Neunzigerjahre aus Georgien nach Deutschland in ein Land, dessen kulturelle und kunstbetriebliche Spielregeln er nicht kannte. Beim Kunststudium in der Heimat war Abstraktion eine Art Fortschrittsmetapher gewesen. Das Bild, das sich nicht gegenständlich zu erkennen gibt, musste vor dem Hintergrund der kulturoffiziellen Realismen als utopische Unbotmässigkeit erscheinen. Abstraktion war Westen, das war die Vorstellung, die der Maler mitbrachte.
Im Westen freilich hatte die Abstraktion längst alle Verbindlichkeit verloren, war zum blossen Stilmittel geworden, mit dem sich malerische Layouts anreichern, aber keine verwegenen Hoffnungen mehr begründen lassen. Dass in den gegenstandslosen Codes der Vorschein einer besseren Welt verborgen sei - worauf ja nicht zuletzt das Bauhaus oder der sogenannte Internationale Stil gesetzt hatten -, den schönen Glauben hat die Selbstaufklärung der Moderne wohl endgültig zerstört.
Gela Samsonidse blieb zunächst in der Tradition der gestisch abstrakten Malerei, wobei er von Beginn an seine Bilder aus mehreren Schichten aufgebaut hat - und zwar nach einem ganz bestimmten Entwurfsmuster, einem eigenen Bildbauplan, den er sehr behutsam weiter entwickelt hat.
In der Regel ist Farbgrund mehr oder weniger monochrom, tendiert meist zu einem dominierenden Farbton. Darüber legt der Maler dann ein Gitter aus vertikalen und horizontalen Farblinien, deren Abstände von Bild zu Bild variieren. Es können auch mehrere solcher Gitter sein. Mal geht es eng-, mal weitmaschiger zu, und wenn auch alle Linien freihändig gezogen sind, dann entsteht doch der Eindruck von geometrischer Strenge. Ganz anders als bei den schwungvollen Farbkringeln, die über diese Gitter perlen wie Luftblasen, die im Wasser aufsteigen. Und wenn mitunter noch andere Malschichten dazwischen liegen, dann bauen sich im Prinzip all diese Bilder aus solch einem Zusammenspiel von statisch geometrischen und dynamisch skripturalen Elementen auf.
So bilden sich dichte Gewebe, zaunartige Muster verketten und verhaken sich zu einer undurchdringlichen Textur, und wo man einen Durchblick ausgemacht zu haben meint, kann man doch nie gewiss sein, dass man dem Bild gleichsam auf seinen Grund gekommen ist. Die Werkphase von Gela Samsonidse ist in dieser Ausstellung vor allem mit Zeichnungen repräsentiert, bei denen die Gitter und Kringel geradeso vorkommen, und die grauen oder schwarzen Graphitflächen aus unendlich vielen Strichen zusammengesetzt sind.
Es ist nicht verboten, sich auf Gitter und Kringel einen Reim zu machen. Mehr noch als an feingliedrig delikaten Farbklängen scheinen die Bilder am Ausgleich ihrer konstruktiven und ihrer gestischen Teile interessiert zu sein. Dass sie ihr je eigenes Farbklima haben, ihre immer wieder andere Emotion oder Expression, ist das eine. Das andere aber doch, dass sie sichtlich um Balance bemüht sind, um gute Nachbarschaft zwischen ihren Linien-Stapeln und ihren Linien-Clustern, zwischen den lamellen-artigen und den knotigen Partien, zwischen unbewegten Schraffuren und wuchernden Knäueln. Soll man sagen zwischen Ordnung und Freiheit?
Auch Bilder ohne Zeichen und Gegenstände haben ihren Ort, ihre Zeit, ihre Erfahrung. Auch Gitter und Kringel erzählen ihre Geschichte. Es ist die Geschichte des Malers Gela Samsonidse, der - seine neuen Möglichkeiten abschätzend und seine neuen Beschränkungen erkennend - sein Werk in der neuen Heimat neu begonnen hat.
Zugleich hat er mit Gitter und Kringeln den Blick nach hinten verstellt. Mehr und mehr erstarrten die Gewebe zu statisch verlässlichen Bauteilen. Und im selben Masse, in dem sie alles abschirmten, was hinter ihnen liegt - nicht nur räumlich, auch und vor allem zeitlich, wurden sie zu Kulissen, zu Bühnenrandbegrenzungen, vor denen mit einem Mal eindringliche Stücke spielten, und bis heute ein eindringliches Stück das andere ablöst.
Es gibt Einpersonen-Stücke, die ersten Figurenbilder waren Porträts, und hier in der Ausstellung, bei den neuen Bildern, haben wir es vor allem mit Zweipersonen-Stücken zu tun. Wobei die Muster und Raster, die Liniengeflechte und Linienschwünge noch immer sichtbar sind. Sie haben sich in die Fliesenböden zurückgezogen, sie hängen als Bilder an der Wand, sie breiten sich als gesprayte Schrift oder Ornamentbänder über die Wände aus, sie helfen mit, aus der Fläche heraus einfache Räume aufzurichten.
Davor das immer gleich Sitz- und Blick-Setting. "Face to face" heißt die Serie. Aber man hat nicht unbedingt den Eindruck, dass sich die etwas steif, angestrengt, jedenfalls nicht locker oder bequem gegenüber Sitzenden tief in die Auge blickten. Irgendwie halten sie sich ohne Anzeichen von Beunruhigung ganz gut aus, Ben und Martin, Elene und Franzi, Vater und Sohn, Gela und Gela, ein Doppelselbstporträt des Malers mit jeweils geschlossenen Augen.
Gerade hier beim Doppelselbstporträt wird deutlich, was mit "Face to face" in Wahrheit gemeint ist. Es geht nicht um das Drama der Begegnung, nicht um verschwiegene Dialoge. Tatsächlich sind es alles Monologe. Der jeweils Andere ist wie ein Spiegel, in dem man sich selber sieht. Was stattfindet, ist Selbstversunkenheit, Konzentration auf sich selbst. Und so sitzen sie auch alle da, angespannt, gerüstet, bereit zum Aufbruch nach innen.
Noch immer sind die Wände nach hinten verschlossen, hermetisch abgedichtet. Kein bisschen Vergangenheit scheint durch. Aber nach vorne hin sind die Räume jetzt offen, weit offen. Und wie zur analytischen Sitzung finden sich die Probanden ein, die alle mit Gela Samsonides intimer Welt zu tun haben, und auch, wenn sie anders heißen, im Grunde alle Gela heißen. Und kaum dass sie face to face Platz genommen haben, sind sie schon allein mit sich und füllen den Raum der Gegenwart, in dem unsichtbar alles voller Erinnerung ist.
Ja, und wenn sie dann aufwachen aus Meditation und Reflexion, dann haben sie auch Augen für die seltsamen Gebilde, die ihnen und uns Stephan Hasslinger an die Wand gehängt und auf den Boden gelegt und auf Sockel gestellt hat.
Auch wieder lauter Gitter, Muster, Ornamente. Und doch gänzlich anders. Jede Masche, jede Schlaufe ist aus gebranntem Ton gewirkt, war erst einmal eine dünne, feuchte, biegsam hinfällige Tonschnur, die angetrocknet und mit Farbe versiegelt lange Zeit im Ofen verbracht hat, wo sie Halt bekommen hat, aber kein bisschen vom Anschein ihrer Fragilität verloren hat.
Es ist Keramik in der klassischen Technik, aber es ist zugleich die denkbar bizarrste Keramik. Der Bildhauer Stephan Hasslinger reizt, fordert, strapaziert das Material bis an seine Grenzen, die er mit den Jahren und Erfahrungen immer weiter hinaus geschoben hat. Dass die monumentalen Stelen oder Türme überhaupt stehen bleiben und nicht in sich zusammen fallen oder aus dem Lot kippen, ist das schiere Wunder. Jedenfalls für unsereinen, dem bei Keramik zuallererst kunsthandwerkliche Nutzanwendung einfällt.
Stephan Hasslinger baut seine Skulpturen Stück um Stück, man könnte auch sagen Stockwerk um Stockwerk auf. Indem er erst einmal tragende Innengerüste formt, nützt er ein Erfolgsmodell der Evolution, die geradezu einen Sprung gemacht haben soll, als sie das Skelett erfand. Dabei sehen Hasslingers Skulpturenskelette alles andere als gerade gewachsen aus. Von der untersten Etage an scheint es der Bildhauer gleich auf Schrägen und Neigungen angelegt zu haben. Ein bisschen Turmbau-zu-Babel-Risiko soll schon immer mit im Spiel sein. Und wenn die Tontürme dann mitsamt ihren feingliedrigen Fassaden aus ungezählten Tonschleifen und-schlaufen oben angekommen sind, dann fragt man sich, wie sie es bis zu ihrer offenen oder geschlossenen Spitze ohne selbstzerstörerischen Unfall geschafft haben.
Zuweilen sieht es so aus, als habe der Bildhauer mit seinen feinen Tonwürsten luftige Gewebe gestrickt, Lochstickerei mit einem Material betrieben, das wie aus der Tube gedrückt anmutet. Wie das überhaupt möglich ist, die feinen Gitter aus mäandernden Ton-Schlangen so lange in Form zu halten, bis sie im Brennofen hart geworden sind, ist ein eigenes Geheimnis. Und ein Geheimnis ist es, wie der Künstler die Herkunft seines Baustoffs einem Stresstest unterzieht, wie er - man könnte sagen - ein bisschen topflappenmässig tut, um dann doch gleich wieder alle Gemütlichkeit zu zerstören. Jedenfalls sind aus dem kunsthandwerklichen Lieblingsmaterial kaum einmal Skulpturen gewachsen, die derart stolz und frei stehen und sich sich bis zur Überlebensgrösse aufrichten können.
Dabei entstehen Stephan Hasslingers Skulpturen und Objekte ohne jegliches Kalkül. Und selbst die grossen Arbeiten, die, was ihre Statik und physikalischen Eigenschaften angeht, auf materialgerechte Herstellungsweisen angewiesen sind, haben ihre eigentümliche Gestalt und ihre imposante Grösse ohne planerische Vorarbeit erreicht. Ausser ein paar technischen Skizzen gibt es nichts. Was vollends erstaunt, wenn man an das empfindliche und letztlich unberechenbare Material Ton denkt und seine heiklen Verarbeitungsprozesse.
Bei Stephan Hasslinger stammen alle Formen aus dem Werden, dem Machen, man könnte auch sagen, aus dem sinnlichen Test auf die Vorstellung. Wie es dann wird und was dabei herauskommt, lässt sich mit Bestimmtheit nie sagen. Nicht zuletzt beim Farb-Auftrag, zumal bei den grösseren Flächen, ist der Künstler nur bedingt der kolorierende Steuermann und hat sich längst damit abgefunden, dass der Brennofen den Farbprozess mit bestimmt.
Nun ist ja, wenn man das Werk aus dem experimentellen Umgang mit Form und Farbe beschreibt, sehr wenig, eigentlich gar nichts gesagt. Die veritable Bizarrerie liegt doch nicht in der Konstruktion, sondern in den heimlichen, unheimlichen formalen und textilen Assoziationen, die diese Arbeiten wie eine Art Elektrosmog abstrahlen, von dem die einen sagen, dass er schwer gefährlich, und die anderen, dass er gänzlich harmlos sei.
Es ist nicht falsch, wenn man sagt, dass es Stephan Hasslinger wohl mit Hintersinn und Hinterlist darauf angelegt zu haben scheint, uns mit seinem farbig gebrannten Ton zu nicht ganz geheuren Wachträumen zu verführen. Zu Wachträumen voller Mieder, Korsettagen und Body's, voller Spitzenbordüren und hochhackiger Schuhen. Körper, Körperteile drängen sich auf, Brust, Gesäss, Phallus - aber eben immer so, dass die Phantasien von den Formen nicht wirklich beglaubigt werden, und dass alles in der vagen Anspielung bleibt, und man nie gewiss sein kann, ob die erotischen Vergegenständlichungen und Verkörperungen vielleicht doch nur frivoler Mehrwert sind, den man selber schafft.
Das ist wirklich wunderbar böse und gibt dem Werk schon einen singulären Charme, wie es in ihm ganz konkret, gegenständlich, figürlich direkt zuzugehen scheint und doch alles im Zustand schillernder Unbestimmtheit bleibt. Mal denkt man an Häkeldeckchen, mal an kapriziöse Dessous, mal an Kakteen, von denen nur noch die vertrockneten Fasern stehen geblieben sind. Hier denkt man an ein straffes Stück Körperwölbung, das durch die einschnürende Körperbedeckung quillt, und dort denkt man an einen Schmuckpanzer, der nur dazu da ist, dass er geöffnet wird. Und dass soviel Form- und Farb-Anlass zu gewagtem Denken ist, ist nicht das Schlechteste, was man von der Kunst sagen kann.
Wahr ist, dass Stephan Hasslingers Skulpturen aus zerbrechlichem Ton sind. Wahr ist aber auch, dass das, was sie wahrhaft hält, ein feinstoffliches Gemenge sein muss aus Erlebnis und Erinnerung, Einfall und Besessenheit, Beobachtung und Traum. So überleben sie Stunden und Tage bei unvorstellbar grosser Hitze. Und so spielen sie ihr heisses Spiel aus Verraten und Verbergen, auch wenn sie längst abgekühlt sind.
Stephan Hasslinger, Gela Samsonidse, zwei Werke, wie wir gesehen haben, mit Potenzial zu starker Bindung. Lassen Sie sich binden, fesseln. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei.