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Texte zur Arbeit

Volker Bauermeister - Einführungsrede Herzzentrum Bad Krozingen im März 2016

Malerei ist jetzt

Lapidar und klar. Wenn ich hier nur die Zeit hätte – lieber Gela, meine Damen und Herren –, ein Wort zu sagen, dann wären es jedenfalls diese zwei oder drei.

Doch will ich etwas ausholen und erklären warum. Ja, ich sehe – sehe Sie und mich hier einer Art und Weise von Bild gegenüber, die keine artifiziellen Umstände macht. Kein Umschweife. Kein wohlfeiles Angebot an Augentrost und Augenfutter. Das Bild als ein unmissverständliches Gegenüber.

Zudringliche Worte lässt es so wenig durch wie ein Dach, das den Namen verdient, das, was von oben kommt. Es ist nicht durchlässig. Und ich sehe kein Manko darin – vielmehr als eine Stärke an, so undurchdringlich und offensichtlich zu sein.

Der Einladungskarte zur Ausstellung – der Abbildung einer dieser neuen Malereien, die wir hier haben, heftete ich an meinem Schreibtisch einen gelben Notizzettel an und schrieb drauf, was mir allererst einfiel. "Faktum". So lapidar und klar muss etwas erst einmal sein wollen – und von einem gemacht sein. So entschieden jedes angestrengte "Bemühen" von sich weisen. (Das Schlimmste, was Kunst anstellen kann, ist ja, dass sie sich bemüht, irgend etwas zu sein. Da mag man dann kaum hinschauen.)

Was fast schon eine Selbstverständlichkeit zu sein schien bei diesem Freiburger Maler aus dem kaukasischen Georgien, das suchen wir unter dem hier vergebens. Es liegt eine Reihe von Jahren zurück, dass Gela Samsonidse anfing, Figuren zu malen – Figürliches in Bilder einzuflechten. Was er jetzt zeigt, nimmt erst einmal Abstand davon. Er kommt auf Vorfigürliches zurück – doch ohne Voriges nur zu reproduzieren. Die Malerei, so sieht es aus, sucht einen alten Spielraum neu auszuloten. Doch die Entscheidung gegen die Figur gilt nur für den Moment und nicht grundsätzlich.

Von Bruch oder Brüchen ist also nicht zu reden. Gela Samsondises Hinwendung zum Bildnis war seinerzeit auch durchaus malerisch motiviert. Eine Entscheidung für den Kopf als präsente Form. Man mag von figürlicher Aufladung des Bildes sprechen. Und allenthalben kehren die Figurenstücke Farbmalerisches hervor, das Bildraum für sich reklamiert und sich selbst auch zum Bild-im-Bild emanzipiert.

Malerei platzt förmlich – dinglich – in Bildräume hinein. Und wo der Maler (von "Selbstvergewisserung" schrieb Martin Engler einmal) aufs Familienalbum zurückgreift und damit private Geschichte anspricht, darepräsentiert ihm die Malerei doch die unmittelbare Gegenwart. Beim Porträt des "Kleinen Gela" spielt das Shirt als Malerei einen Solopart. In "Es war wie gestern" bildet sich in einem Gespinst aus Ellipsen etwas wie ein bedrohliches Jetzt. Und in einem der Gemälde, das "Halt" heißt, ist, was Halt gibt nichts anderes als eine eingeschobene, autonome, ins Präsens des Bildes gewendete Malpassage. Faktur, Faktum

Wenn Gela Samsonidse jüngst zum schieren Farbgewebe zurückkehrt, folgt er einem klar formulierten Bedürfnis. Bilder vom Typus des seriellen Doppelporträts des "Face to face" verlangten einen hohen konzeptuellen Aufwand – einen nicht zu knappen Vorlauf der Vorentscheidungen. Bilder wie diese stellen in der Hinsicht für ihn eine Alternative dar. Etwas "frei zu bewegen", "freie Linien" zu ziehen – dass es ihm darum gehe, betont er. Kopf und Hand sind da nah beieinander. Bilder wie diese verlangen – oder besser: erlauben ihm, dass er sie Zug um Zug – und also zügig – entwickelt.

So auch bildet sich Dynamik ab. Und zielt über die einzelne Leinwand allerdings noch hinaus. "Ein Bild ist zu wenig", höre ich Gela Samsonidse im Atelier sagen. Und sehe die Serie als Konsequenz der gewählten Haltung. Die Entscheidung für diesen Modus der Gestaltung war offenbar nötig. Solch direktes Agieren bedeutet Befreiung.

Bildnerische Evidenz ist angesagt. Das heißt: dass klar vor Augen steht, wie und woraus ein Bild entsteht. Farben laufen als Farbbänder in der Höhe und Breite von einem Bildfeldrand zum andern. (Sofern sie nicht Kreisbögen bilden.) Die Konsistenz der Malmaterie kommt dem Gebrauch entgegen. So verdünnt, garantiert die Ölfarbe die gewünschte flüssige Bewegung – anders als die Paste es täte, die die Tube hergibt. Die Stärke der Linie wird durch die Wahl des Pinsels entschieden. Farbton und Richtung differieren. Sperenzchen schließt die gestaltende Spur aus. Informel und pittoreske Pirouetten. Jeden Ausbruch ins gestische Fach. Ein ineinander gezeichnetes, buchstäblich fadenscheiniges Gewebe – Gitter oder Gitternetz – ist der strukturale Nenner jedes Mal.

Bänder, Stäbe, Stege bestücken das Bild und sind dabei noch immer sichtbar Pinselstrich. Handlungsform. Farbe zieht in ihrer linearen Entwicklung manchmal noch ungetrocknete, tiefer liegende Schichtlagen Schlieren bildend mit sich. Oder von Farbe fast entleert, gerät ein Pinselzug auch mal zur Schleifspur. Ohne weiteres bildet das Bildmuster die Motorik des Machens ab – die Arbeit am Bild jenseits von Perfektion. Die ganze Bildgeschichte im Handlungsspiegel. Korrekturen und Kehren gehören ins Bild. Wo eine Farbe eine andere ersetzt – verborgen bleibt auch dies nicht.

Den farbigen Grund überfängt die sukzessiv verdichtete, farbräumlich vernetzte Pinselgraphik. Weitmaschig soll sie – allzu weitmaschig darf sie nicht sein. Was zu dicht wird, würde die Bewegung hemmen. Das Prinzip heißt: Zumalen. Gela Samsonidse hat den kritischen Punkt im Auge. Er sagt: "zu zugemalt" darf es nicht sein. In der Tat: Der Linienstau wäre der GAU im dynamischen Farbraum.

Den Katastrophenfall kann ich mir ausmalen. Entdecken kann ich ihn, wenn ich mich umsehe, nicht. Stattdessen eine schöne Zahl erfrischend geradlinig unverkrampfter Bildlösungen. Einmal in der Art eines übermütig raumschaffenden Jägerzauns. Einmal in Gestalt eines Raums, den ich klimatisch polarkreisnah lokalisiere. (Ich erinnere mich, wie selbst mir einmal Ernst Wilhelm Nay auf dem Farbweg die Lofoten nahebrachte.) Und einmal schließlich erzeugt so eine Übermalung ein ungewöhnlich massives Gitter. Versperrte Mallandschaft ist das. Ein Hortus conclusus der Farben, der das Auge zum Zaungast macht.

Eine Sache für sich sind die kleinen Formate, die wir hier auch sehen. Viel weniger vom linearen Fluss bestimmt sind sie. In Handlungsschritten baut Farbe sich selbst auch reliefhaft auf. Und das in Pinselbreite markierte Bewegungsmuster entwickelt eine ruckende, zuckende Kleinteiligkeit. Wobei die Dichte und direkt physische Präsenz noch sozusagen illusionstechnisch gesteigert ist. In Gestalt eines Scheinreliefs nämlich, das wir in dem Moment entstehen sehen, in dem das koalierende Hell-Dunkel diskret eine Schattenwirkung suggeriert.

Und einmal sehe ich – nun wieder bei den Großformaten angelangt – aus einem wiederum stark vergitterten Grund einen weißen Stern heraus stechen, dessen gezacktes Vieleck sich denn in einem, merkwürdig an den frühen hermetischen Frank Stella erinnernden, Muster flächendeckend weiter zeichnet – und verliert. Und so zieht dies Bild in sich – zieht in einer großen Kehre zwischen Stern und Stella ein, was es andererseits hervorbringt.

Und schließlich noch dieses für die Arbeit hier so bezeichnende Stück: Auf einem Fond von fast wässrigem Grün in fettem Schwarz eine Sammlung von Symbolen – Kreuzsymbolen. Das religionsgeschichtliche Arsenal der Zeichen erscheint in dem Kontext, indem die Vergitterung greift, inhaltlich aber neutralisiert. Griechisches Kreuz oder Lateinisches. Andreaskreuz. Antoniuskreuz. Gabel- oder Schächerkreuz. Swastika (das uralte Sonnensymbol: das von den Nazis missbrauchte Hakenkreuz). Dazu eine andere, kaum weniger bekannte Hakengestalt, die wir vom Ornamentfries desMäanders kennen. Und die Kreuze sind da gar nichts anderes: in dem Moment auch Ornament. Kreuzmuster. Gela Samsonidse beansprucht die Sinnfigur für sich. Und treibt ihr dann durch die bildnerische Initiative die Ideologie aus. Kreuze sind für ihn flächendynamische Zeichen.

Für Jasper Johns war das Star-Sprangled Banner auch schlechterdings bedeutungsfrei, als er daran ging, seine "Flags" zu malen – zu wenden, zu vervielfachen und farblich zu verfremden. Von Interesse war, was dabei herauskam – was Malerei und nicht Fahne war. Gela Samsonidse zeigt sich ganz auf der Seite eines solchen Bildverstehens, das die Mechanismen der Vermittlung eliminiert, um Malerei zu etablieren. Und es braucht diese die Bildwirklichkeit – diesseits von allem, was sich als "Sinn" gern wichtig tut – entschieden verdichtende Kraft der Verneinung. Heute schon gar. Solche Bilder sind wie Bojen im digitalen Niemandsland.

Ja, hier ist vom sinnlich Konkreten, vom Anschauungsding – und in dem Sinn vom Gitter zu reden, in dem sich Bildgegenwart fängt. Bei Gela Samsonidse steht Faktum und Faktur des Gitters jedes Mal klar und lapidar wie ein plötzlicher Einfall da. Das wollte er: solch unbelastete Bilder. Verdichtung. Aber quasi selbstredend. Aus der Lamäng.

Zu malen, darum geht es dem Maler. Zumalen! Strikt auf das Ornament der Fläche zu, ohne die Ängste, die der Tiefsinn schürt, der alte Zweifler.

Ich will noch ergänzen. Über dem Text, an dessen Ende ich bin, steht schlicht und einfach: Malerei ist jetzt.

Nicht paradise, aber painting is now. Das ist wahrhaftig auch ein Gewinn.

Wofür sonst arbeitet der Maler?

 

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